Leben im Steertgraben
16 Teilnehmer fanden sich am 20.8.2017 zur mittlerweile 24. Veranstaltung (Besichtigungen und Fangexkursionen) des Arbeitskreises Fische im Naturwissenschaftlichen Verein zu Bremen seit 1996 ein. Diesmal ging es ins Niedervieland in Bremen-Strom, genauer gesagt an den Steertgraben. Der Steertgraben ist an das Mühlenhauser Fleet angeschlossen, der wiederum über das Mühlenhauser Siel, ein Schöpfwerk, in die Ochtum entwässert. Am Siel können 3,5 m3/s Grabenwasser abgepumpt werden.
(Lage "Steertgraben". Karte: Data CC By SA by OpenStreetMap-Mitwirkende.)
Der „Chronik von Bremen-Strom“ (Imhoff & Schmeyers 2012) ist zu entnehmen, dass bis vor ca. 20.000 Jahren sich im Niedervieland das Wasser zeitweise zu einem See aufstaute. Es gab mehrere Weserarme im Gebiet, das Mühlenhauser Fleet war früher ein solcher. Das Gelände befindet sich ca. 1 bis 2 m über NN. Ab dem 12./13. Jahrhundert schufen angesiedelte Holländer ein Grabensystem und entwässerten das sumpfige Gebiet. Dennoch gab es im 14. Und 15. Jahrhundert Überschwemmungen. Heute ist das Niedervieland Landschaftsschutzgebiet und ist als FFH-Gebiet der EU gemeldet.
Anwesend waren Naturfreunde (überwiegend), Aquarianer, Angler und Fischkundler. An dieser Stelle bedanken wir uns für die Genehmigungen bei der Dienststelle des Senators für Umwelt (c/o Marion Riesner-Kabus) und beim FV Niedervieland e.V. (c/o Jochen Himmelskamp) für die Genehmigungen. Die Teilnehmer fischten mit Kescher, Senknetzen, Angeln und abschließend mit einem tragbaren Elektrofischereigerät mit Matthias Hein von Ecosurv Bremen am Auslöserknopf. Um es vorwegzunehmen: die erhofften Karauschen wurden nicht nachgewiesen, aber dafür einiges andere mehr, siehe unten.
Insgesamt erwies sich der Steertgraben als recht flach (weniger als 50 cm) und mit Elodea nuttallii als recht stark verkrautet. Außer Elodea bot lediglich am Ufer stehendes Rumex mit seinen unteren Teilen etwas Struktur ansonsten erreichte das Gras auf den steilen Böschungskanten kaum das Wasser. Ein typischer Entwässerungsgraben in der nordwestdeutschen Kulturlandschaft.
Die Kescherfänge auf Wirbellose ergaben eine kleine Überraschung: Schwebegarnelen (Neomysis) weitab vom Weserstrom tanzten in den Beobachtungsgefäßen. Desweiteren viele Wasserläufer (Gerridae), Rückenschwimmer (Notonecta) und Eintagsfliegenlarven (Ephemeroptera), einige Schlammfliegenlarven (Megaloptera), Tellerschnecken (Planorbidae), rote Wassermilben (Hydracarina) und Wasserasseln (isopoda), einzelne Karpfenläuse (Argulus), Fischegel (Piscicola geometra), Hüpferlinge (Copepoda), Büschelmückenlarven (Chaoborus) und Polypen (Hydra). Schlammschnecken (Lymnaeidae) wurden anhand ihrer Gelege unterhalb der Schwimmblätter vom Froschbiss nachgewiesen. Sicher leben noch viel mehr Wirbellose im Graben, die sich bei größerem Fangaufwand nachweisen liessen. Last but not least fanden wir auch noch Wollhandkrabben (Eriocheir sinensis) an, zumeist als Totfunde. Ein Angler ließ uns wissen wie unbeliebt die Wollhandkrabben sind, weil sie an die für den Fischfang bestimmten Köder gehen.
Das Keschern erbrachte kaum einmal einen Fisch, für Fischlarven war die Jahreszeit schon zu fortgeschritten. Aber mit den Senken war Erfolg beschieden: Kaulbarsche (Gymnocephalus cernuus), Moderlieschen (Leucaspius delineatus), Flussbarsche (Perca fluviatilis), Rotaugen (Rutilus rutilus), Brassen (Abramis brama) und Dreistachlige Stichlinge (Gasterosteus sp.). All diese Fische maßen 3 (Stichlinge) bis maximal 10 cm (Rotaugen, Brassen), was ein Hinweis darauf ist, dass hier Fischbrut aufkommt. Vor allem junge Kaulbarsche und Moderlieschen lagen überraschend häufig auf den gehievten Netzen. Moderlieschen sind nicht leicht nachweisbar, werden sie doch häufig mit Jungfischen anderer Cypriniden verwechselt. Matthias Hein von Ecosurv begab sich mit Wathose ins Wasser und fing mittels seines Elektrofischereigerätes ebenfalls die oben genannten Arten, zusätzlich aber noch ein paar Besonderheiten, zu solchen gehört der Steinbeißer (Cobitis taenia). Es ließen sich über 20 Exemplare mit einem Totallängen-Spektrum von 4 bis 8 cm fangen. In den 80er Jahren galt der Steinbeißer noch als Anzeiger der Gewässergüte II, davon ist man mittlerweile abgekommen, kommt diese Art doch häufig in Gewässern mit etwas schlechterer Gewässergüte vor. Und in der Roten Liste für Deutschland von 1998 galt der Steinbeißer noch als „stark gefährdet“, nunmehr als „ungefährdet“ aufgrund des verbesserten Kenntnisstandes über die Vorkommen dieser Art. In Niedersachsen gilt aber noch der Status „gefährdet“. Sie besitzt aber nach wie vor den Status einer FFH-Art. Außerdem geriet noch ein Zander (Sander lucioperca) von 11 cm Länge in den Anodenbereich des Elektrofischereigerätes. Ein größeres Exemplar wurde noch von einem Angler (Thomas Wagner sei Dank) vorgezeigt.
Sicherlich hätte man im Steertgraben vor ein paar Jahrzehnten mehr Aale (Anguilla anguilla) fangen können, nur oder immerhin ein 25-cm-Exemplar wurde just gefangen. Aalbesatz unternimmt der FV Niedervieland nach Auskunft vom Vereinsvorsitzenden Jochen Himmelskamp seit es das Förderprogramm der EU gibt. Dabei wurden bisher jeweils ca. 100 kg pro Jahr in die Gewässer eingebracht. Bitterlinge (Rhodeus amarus) vor ca 15 Jahren zwei- oder dreimal eingesetzt. In dem Zeitraum wurden bei Grabenräumung regelmäßig große Teichmuscheln mit ans Ufer geworfen. Wir haben diese soweit möglich wieder zurückgesetzt. Leider waren viele schon verendet. Als keine Muscheln mehr gefunden wurden, wurde der Besatz mit Bitterlingen eingestellt.
Zum Schluss wurde auch noch nicht erwartet eine Schwarzmundgrundel (Neogobius melanostomus) von 5 cm Länge gefangen. Zwar ist bekannt, dass dieser Neubürger insbesondere in den Ufersteinpackungen der Weser mittlerweile häufig ist (siehe Brunken et al. in Lauterbornia 2012), aber im kaum Deckung bietenden Steertgraben … eine Steganlage genügte ihr aber doch zur Ansiedlung.
Abschließend begaben wir uns noch ins nahe liegende Fischlokal an der Ochtumbrücke. Hier wurden uns Steinbeißer auf der Speisekarte angeboten, natürlich waren diese äußerlich wie geschmacklich nicht identisch mit den gerade im Steertgraben gefangenen … (Anarhichas sp. ungleich Cobitis taenia!).
(für den AK Fische: Hans-Joachim Scheffel, Fotos: Anette Bösch)